ERINNERUNGEN VON WEGBEGLEITERN UND RATSUCHENDEN

 

Folgende Interviews wurden in den Jahren 2002/03 mit verschiedenen Menschen, die Pater Thomas gekannt haben, ihm begegnet sind, bei ihm Rat geholt oder einen Zeitabschnitt mit ihm verbracht haben, geführt.

 

 

M.P., Müstair, 15. Juli 2003

Pater Thomas hat mich dazu gebracht, dass ich wieder aus dem Haus gegangen bin. Ich hatte zwei Todesfälle. Mein Sohn, er ist mit 22 Jahren verunglückt und zwei Jahre später ist mein Mann an einem Herzinfarkt gestorben. Ich war hier und hatte mich eingeschlossen, mein Mann war in der Stube aufgebahrt, die Türe war verschlossen. Ich liess niemanden herein. Pater Thomas hat mich angerufen und gesagt ich solle zu ihm ins Kloster kommen, er wolle mit mir etwas besprechen. Ich bin nicht gegangen. Er ging daraufhin zur Priorin, um ihr zu sagen, dass «Sie» uns Frau Prevost nicht wegnehmen. Die Priorin sagte zu ihm, man müsse schon zuerst den Mann beerdigen. Etwa 14 Tage bin ich zu Hause geblieben und dann kam wieder ein Telefon vom Pater, der mir sagte: «So Frau Prevost, jetzt kommen sie her zu uns ins Kloster, ich warte um 14.00 Uhr auf sie.» Der Pater, das war eine Respektperson, wirklich. Dann bin ich ins Kloster, ich hatte etwas Angst. Pater Thomas stand schon bei der Treppe oben mit einer Schokolade und sagte mir: «Jetzt gehen wir zur Frau Priorin.» Sie fragten mich, ob ich zum Aushelfen kommen könne. Ich hatte Ziegen, Schafe und ein Schwein. Ich hatte also Arbeit zu Hause. Zunächst bin ich 4 Stunden im Tag ins Kloster zum Aushelfen gegangen. Sie hatten Angst ich würde nicht kochen zu Hause, aber das habe ich immer gemacht. Als ich dann keine Tiere hatte, also sie alle verkauft oder geschlachtet waren, habe ich nur noch im Kloster gearbeitet und bin 15 Jahre dortgeblieben.

 

Mein Mann hiess Robert und er hatte es ein bisschen mit den Nerven. Ich sagte zu ihm: «Geh zu Pater Thomas.» Mein Mann ging und Pater Thomas gab ihm ein Päckchen Tee. Die Verpackung hatte er allerdings weggeschmissen damit mein Mann nicht sehen konnte, was es für ein Tee war. Mein Mann sagte zu mir, dass Pater Thomas schon wisse, was er habe, es aber nicht sagen wolle. Mein Mann war brav und hat den Tee getrunken. Dann hat er einmal zum mir gesagt: «Maria, jetzt gehst du zu Pater Thomas ins Kloster, dir sagt er schon, was ich habe.» Ich bin dann zu Pater Thomas gegangen und habe ihn gefragt, was er meinem Mann für einen Tee gegeben habe. Pater Thomas musste so fest lachen, dass ihm die Tränen kamen. Er sagte zu mir: «Wissen sie, die Männer wollen nicht den gleichen Tee trinken wie die Frauen. Wenn sie diesen nämlich trinken würden, meinen sie sie seien minderwertig. Und darum wechsle ich immer die Packung aus, damit die Männer nicht sehen, was es ist. Aber sagen sie es ihrem Mann nicht.»

 

Einmal da war ich auf dem Friedhof. Es dunkelte schon, da schaute ich mich um und sah, dass eine schwarze Gestalt in den Friedhof kam. Ich erkannte schnell, dass es Pater Thomas war. Ich sagte: «Buna saira signur pader.» Ich glaube ich hatte vor ihm Angst und er von mir. Er sagte: «Ma chi es ella?» «Ich bin Maria, ich bin’s.» Pater Thomas ist dann zu meinen Gräbern gelaufen und hat ihnen Weihwasser gegeben und dann ist er gegangen. Pater Thomas war oft am Abend auf dem Friedhof. Er hatte ja Parkinson. Mit dem Stock turnte er hin und her. Er war gerne dort, wenn es ziemlich dunkel war.

 

Pater Thomas hatte einen Brauch. Er duschte nur mit kaltem Wasser. Er ging manchmal raus zu einem Ort, wo das Wasser kam, das die Bauern zum Wässern brauchten. Dort hatte es einen Tümpel, da ging er hin, vielleicht um vier in der Frühe. Dann am Tag regnete es, die Grenzwächter standen draussen Wache und dann sah man manchmal eine schwarze Gestalt kommen. Die Wachen hatten Angst und machten sich davon. Die schwarze Gestalt ging in den Tümpel, kam dann wieder heraus, zog sich an, nahm den Schirm und ging dann wieder weg. Die Grenzwächter erkannten bald das es Pater Thomas war.

 

Einmal war ich in Chur und da sagte jemand: «Pater Thomas hat das gesagt.» Er zeigte mir Einlegesohlen und sagte mir, dass Pater Thomas das empfohlen habe. Ich stand daneben und musste lachen. Der Mann sagte zu mir: «Gute Frau, lachen sie mich bitte nicht aus.» Ich sagte zu ihm er müsse mich entschuldigen, aber Pater Thomas habe so etwas bestimmt nicht gesagt. Pater Thomas hatte keine Einlegesohlen. Der Mann an dem Marktstand hörte dann sogleich auf damit zu behaupten, dass der Pater dies empfohlen habe. Ich hatte ja 10 Jahre bei Pater Thomas gearbeitet und ich hatte nie solche Einlegesohlen gesehen.

 

Pater Thomas hatte hauptsächlich Olivenöl, Kabis und Tees, sonst nichts.

 

Einmal kam eine Frau, sie war aus dem Kanton Zug. Sie hatte es mit den Nerven. Das war eine lästige Frau. Wenn sie telefonierte, half nichts anderes als zu Pater Thomas umzuschalten, denn zu gewissen Zeiten nahm er keine Telefone direkt entgegen. Die Leute kamen dann also an einem Sonntag. Die Frau hatte eine Kameradin, die sie mit dem Auto mitgenommen hatte. Zuerst ging also die Frau zu Pater Thomas. Dann kam sie heraus und sagte ihrer Begleiterin sie könne jetzt hereingehen. Ich sagte zu Ihnen sie dürfe so nicht hereingehen sonst würde sie Pater Thomas herausschmeissen. Die Frau hatte eine Wolldecke im Auto. Diese holten sie, legten sie um und banden sie mit einem Seil fest. Die Jacke gab ich von mir, denn zu Pater Thomas durfte man nicht ohne Ärmel gehen. Wir hatten immer eine Jacke da, falls eine Frau kam und keine dabeihatte. Dann konnte die Frau zu Pater Thomas. Er musste lachen, als er die Frau mit der Wolldecke und dem Seil sah. Als sie fertig waren, kam Pater Thomas raus und sagte: «Maria, haben sie gesehen diese zwei?» Ich sagte ihm: «Pater Thomas, wenn sie gesehen hätten, wie die zweite Frau angezogen war, da hätten sie nicht mehr gelacht.» Er war lustig, er konnte aber auch ganz energisch sein. Zum Beispiel wenn er Kommunion austeilte und da waren Schulmädchen mit Hosen, da ist er an ihnen vorbei gegangen mit der Kommunion, da gab er keine Kommunion. Er wollte nicht, dass man Hosen trägt.

 

Einmal war der Bischof von Basel, Otto Wüst, hier in den Ferien. 4 Wochen lang war er da. Ich weiss nicht mehr genau was war, aber ich musste vom Tisch weg während dem Mittagessen. Vielleicht war es wegen eines Telefonates, ich weiss es nicht mehr genau. Da hörte ich etwas, als ob jemand umgefallen wäre. Es war Pater Thomas, er hatte ja Parkinson. Wir trugen ihn auf einen Stuhl und dann in sein Zimmer. Pater Thomas war bewusstlos. Der Bischof Otto Wüst kam zu mir und sagte mir ich müsse die letzte Ölung holen. Zum Glück war da eine Schwester, eine aus dem Dorf. Sie sagte mir genau wo es zu finden war und begleitete mich dorthin. Dann wollte er ihm die letzte Ölung geben und Pater Thomas kam wieder zu Bewusstsein und sagte: «Nein, nein, der Häberle stirbt noch nicht.» Ich telefonierte dem Doktor, der wenig später kam. Beim Herausgehen kam er noch zu mir und sagte mir, dass er dem Pater gesagt habe er dürfe vor zwei Uhr nicht aufstehen und um diese Zeit solle ich zu ihm ins Zimmer gehen und ihm helfen aufzustehen. Als ich ins Zimmer wollte, stand Pater Thomas schon da und rief: «Raus, raus, ich brauche keine Hilfe!» Er war allein aufgestanden und hatte sich allein angezogen. Nur die Schuhe wechseln, dass mussten wir immer, wenn er raus ging und wenn er wieder kam. Da mussten wir ihm die Finken anziehen.

 

Einmal, da war ökumenische Woche, da kam Pater Thomas zu mir und fragte mich: «Gell, sie kommen schon mit mir?» Da hatte er schon angefangen wegen seiner Krankheit Schwierigkeiten mit dem Sprechen zu bekommen. Manchmal blieb ihm auch die Stimme weg. Dann musste ich mit ihm in die Kirche. Er sagte dann zu mir: «Maria tun sie das Vater unser beten, nicht das ich die Stimme verliere». Dann war es gut. Pater Thomas ging auf die Kanzel und durfte Neid und Stolz für die Münstertaler sein. Die Männer mussten lachen, denn er predigte so lustig. Sie lachten alle. Die Männer aus St. Maria sagten, so eine lustige Predigt wie Pater Thomas sie gehalten habe, hätten sie die ganze Woche nicht gehört. Er konnte ganz schön singen, also ganz schön. Aber er konnte auch anders sein, ja, ja.

 

Ganz oft ging er am Mittag spazieren. Da sammelte er immer Blumen, die ganz feinen. Dann kam er mit den Blumen und ich musste eine Schere holen und alles gleich abschneiden. Dann stellte er die Blumen in einen Krug oder in eine Vase und dann ging er.

 

Am Abend mussten wir ihm manchmal die Pelerine bringen, wenn er raus gegangen ist. Dann hat er angefangen manchmal rückwärtszugehen. Er konnte sich nicht mehr halten und fiel zurück. Ich musste ihn dann nur ganz leicht halten, schauen das er sich anlehnen konnte und so konnte er wieder stehen. Aber er fiel dann auch ganz oft um.

 

Einmal stand der Briefträger und eine Frau draussen in Chavalatsch vor der Tür und sie sahen wie Pater Thomas weiter oben vorbei ging und auf einmal verschwunden war. Da sagte der Briefträger zur Frau: «Geh und schau, was mit Pater Thomas ist.» Pater Thomas lag oben im Heu und wäre nicht mehr allein hochgekommen. Die Frau rief nach mir und wir brachten ihn zum Kloster. Pater Thomas konnte kaum laufen. Ich holte den Rollstuhl, Pater Thomas wollte aber überhaupt nicht in den Rollstuhl. Wir haben ihn ins Zimmer heraufgebracht. Ich bat Pater Thomas die Türe nicht zu zusperren, damit ich im Notfall reinkommen könnte. Als wir Pater Thomas wieder in sein Zimmer gebracht hatten, bat er uns seine Beine mit Kölnisch Wasser einzureiben. Wir wollten die Socken ausziehen, was der Pater jedoch nicht wollte. Da fragte die Schwester, was er noch für einen Wunsch habe. Er sagte: «Alle zwei verschwinden und lasst euch nicht mehr sehen da drin!»

 

Bei mir hat Pater Thomas nichts gefunden, als er mich ausgependelt hat. Da waren einmal die vom Fernsehen bei ihm und er musste jeden Freitag pendeln. Ich musste in sein Zimmer gehen und die Hand herhalten und er hat gependelt und die vom Fernsehen fragten immer: «Haben sie etwas gefunden?» «Wenn nichts da ist, kann ich auch nichts finden», sagte Pater Thomas.

 

Ich bekam mit, wie viele Menschen zu Pater Thomas kamen. Da waren manchmal 20 Personen im Gang. Manchmal mussten sie sehr lang warten. Wenn er müde war, hatte er auch nicht mehr so viel Kraft. Man merkte, wenn er ab und zu eine Woche Pause machte, dass es ihm dann entsprechend besser ging. Seine Hand war besser. Eine Zeit konnte er kaum mehr allein essen, so stark war sein Parkinson.

 

Die Leute kamen von überall. Sie kamen von Italien, von Spanien, von England, von Deutschland, von überall her. Aber sie mussten sich anmelden. Immer am Mittwoch und am Freitag hatte er Telefonstunde. Am Mittwoch von drei bis vier und am Freitag von drei bis fünf Uhr. Aber er war schon auch ein Spitzbube, ja, ja. Am Sonntag durfte man auf keinen Fall arbeiten, aber er arbeitete. Bis ungefähr halb fünf oder fünf pendelte er. Im Winter musste ich herkommen, um den Ofen zu heizen. Bevor ich dann wieder nach Hause ging, machte ich einen Krug mit Kaffee und eine Tasse parat, aber wenn der Pater Thomas mich nur kurz sah, rief er schon nach mir und nach Kaffee und ich musste umkehren und Kaffee ausschenken. Dann lachte er immer so verschmitzt. Ich durfte nicht gehen, bevor er den Kaffee ausgetrunken hatte. Er lachte mich ständig verschmitzt an und ich dachte mir, dir werde ich helfen. Es war zehn vor fünf, ich hatte den Kaffee parat, die Tasse parat und ich war fort. Da konnte er schon Maria rufen, ich war weg.

 

Da war von einer Klosterfrau die Mutter, die Frau Edelmann. Aus St. Gallen war sie. Es kam vor, dass Leute am Mittag kamen und nach Pater Thomas fragten. Er sagte dann: «Ich nehme niemanden mehr, jetzt ist einmal fertig!»

 

Die Leute wussten, dass er auf die Felder zum spazieren ging. Dann sind sie ihm nachgegangen. Wir mussten schauen, dass wir die Leute über die Treppe runterbrachten, dass sie endlich mal gingen. Pater Thomas konnte man auf den Feldern schon von weitem sehen. Da kam er zurück mit der Frau und auch anderen Leuten und pendelte sie aus. Die Dummen waren wir, denn wir hatten zuvor die Leute weggeschickt und er kam dann wieder zurück mit ihnen, wenn sie ihm auf dem Feld gefolgt waren.

 

Einmal war ein Mann da, der nicht gehen wollte. Da klopfte die Frau Edelmann an die Tür von Pater Thomas und als er ja sagte, machte sie schnell die Türe auf und stiess den Mann ins Zimmer. So ging das.

 

Damit wir putzen konnten haben wir den Telefonbeantworter eingeschaltet, auf dem eine Stimme sagte, dass Pater Thomas zurzeit nicht anwesend sei. Sonst wären wir kaum zum Putzen gekommen. Um sechs Uhr gab es Nachtessen, nachher abwaschen und jemand musste noch die Gänge putzen.

 

Manchmal erhielt Pater Thomas ein Päckchen. Ich war schon zu Hause und Pater Thomas rief mich an und fragte mich, ob ich Zeit hätte oder ob ich schon im Bett sei. Er bat mich herzukommen, weil er einen Express bekommen hatte und er konnte das Paket nicht aufmachen. Dann ging ich hinüber zum Kloster. Pater Thomas stand schon bei der Treppe oben mit der Schokolade. Ich hätte vielmal gerne verzichtet auf die Schokolade und wäre lieber hiergeblieben, aber was hätte ich machen sollen.

 

Ich hatte immer Angst, wenn er lange auf dem WC war, und ich bat ihn immer, die Türe nicht zu schliessen. Ich wusste nicht, ob er eingeschlafen war, jedenfalls hatte ich Angst, wenn er so lange da drin war. Ich fragte: «Pater Thomas soll ich ihnen helfen?» «Aufhören», schrie Pater Thomas. Mein Mann war ja an einem Herzinfarkt gestorben.

 

Am Freitag musste ich Pater Thomas immer beim Baden helfen. Das Badewasser richtete er selbst. Er zog seine Badehosen an und ich konnte dann seinen Kopf waschen, ihn allgemein waschen und den Rücken und die Beine massieren. Sobald der Rücken einmal gewaschen war, musste ich ihm das Unterleibchen anziehen. Nachdem ich ihm aus der Badewanne herausgeholfen hatte, durfte ich gehen. Nachdem er sich teilweise angezogen hatte, mussten wir ihm die Beine mit Olivenöl einreiben. Das machten wir jeden Tag. Ich mag das Olivenöl nicht, wissen sie es hat so einen sonderbaren Geschmack. Pater Thomas merkte, dass ich das nicht gerne tat und rief mich extra dazu, wenn es darum ging seine Beine einzumassieren. Aber er war sonst ein lieber Mensch, also wirklich ein lieber.

 

Ich hatte auch einen Garten im Sommer im Kloster und im Frühling kam Pater Thomas mit 100 Fr. Er spazierte oft dort herum. Er sagte mir: «Maria, sie müssen wieder Blumen kaufen. Ich möchte nicht, dass sie alles zahlen müssen.» Und im Herbst ist er mit 100 Fr. gekommen, die er mir für die Arbeit gegeben hat. Er war dankbar.

 

Da war ein Unwetter und da gibt es ein Tal oberhalb des Klosters. Da ist mein Sohn verunglückt. Einmal, es muss heftig gewindet haben ist Pater Thomas in dieses Tal gegangen. Die Menschen von Taufers und von Müstair haben ihn gesehen. Pater Thomas nahm eine Kerze und zündete sie an. Niemand glaubte, dass die Kerze brennt. Pater Thomas begann zu beten und das Unwetter hörte auf.

 

Einmal als es da in der Nähe brannte kamen sie, um Pater Thomas zu holen. Das ist jetzt zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre her, dass es dort gebrannt hat. Er sagte, es hätte keinen Sinn dahin zu gehen. Er betete stattdessen bis um zwölf Uhr in der Nacht am Fenster im Kloster. Um vier in der Frühe war er wieder am Fenster. Das Feuer ging nicht mehr weiter.

 

Das Restaurant Chavalatsch brannte, das war ungefähr um zwölf oder halb eins in der Nacht. Ich habe die Sirene gehört und bin aufgestanden, habe den Morgenrock angezogen und bin rausgegangen, um zu schauen, wo es brennt. Da kam die Nachbarin und berichtete, dass das ganze Restaurant schon im Feuer stehe. Wir sind zum Restaurant und da ist auch Pater Thomas dazugekommen. Er ist zum Haus gegangen und wieder zurück gekommen zu mir und hat gesagt ich solle wieder nach Hause gehen und schlafen. Das Feuer würde nicht mehr weitergehen. Ich hatte nicht gedacht, dass er mich unter all diesen Leuten gesehen hatte. Das Feuer ging nicht mehr weiter.

 

Die Kinder in der Schule hatten Pater Thomas gerne und auch er mochte alle Kinder. Da war auch der jüngste von meinen. An einem Tag kam er nach Hause und sagte: «Mama, heute hatten wir einen guten Lehrer in der Schule.» «Ja, wen denn?», fragte ich. «Pater Thomas», antwortete mein Sohn.

 

Ich habe Pater Thomas bis zu seinem Weggang nach Disentis betreut. Pater Thomas ist nicht gerne von hier fortgegangen. Er hatte Heimweh. Diesen Entscheid hat hauptsächlich die Priorin gefällt. Ja, es war viel Arbeit mit ihm, aber wir waren es, die Arbeit hatten, nicht die Priorin. Pater Thomas wollte hierbleiben. Er wollte unter den Schwestern begraben werden. Immer wenn ich Pater Thomas in Disentis besucht habe, sind ihm die Tränen gekommen.

 

Als Pater Thomas fort war hat Pater Benedikt Gubelmann ihn vertreten. Pater Benedikt mochte Pater Thomas. Er hat unterrichtet und war in Zernez und Susch Pfarrer. Er war vorher 12 Jahre in Brig.

 

Ich sagte zu Pater Benedikt, dass die Priorin mit dem Abt vereinbart habe, dass Pater Thomas nach Disentis müsse. Er sagte darauf: «Dann soll sie die Folgen haben». Pater Benedikt kündigte seine Stelle und darauf wollte die Priorin auch ihn nach Disentis senden. Pater Benedikt hatte seine Sachen derweil schon nach Brig bringen lassen und ging kurz später dahin zurück um wieder als Lehrer zu arbeiten. Dann kam Pater Maurus, aber das war nicht das gleiche. Man konnte immer zu Pater Thomas wenn wir etwas brauchten. Er sagte uns immer: «Was ihr braucht, das kauft ihr euch.» Wir kauften die Sachen ja nur für das Kloster. Die Klosterfrauen und andere merkten erst als Pater Thomas weg war, was er alles finanziert hatte für das Kloster. Die Priorin hatte keine Buchhaltung, sie kam erst auf die Welt als Pater Thomas weg war.

 

Es gab eine Schwester, die Schwester Scholastica, die wusste schon Bescheid. Sie ging immer zu Pater Thomas wenn sie etwas fürs Kloster brauchte. Er sagte dann immer: «Ja, dann kaufen sie’s.» Und Pater Thomas ging dann bezahlen.

 

Als Pater Thomas in Disentis war schrieb er allen Schwestern stets zum Namens- und Geburtstag. Auch mir schrieb er immer und als ich dann nach Disentis kam, um ihn zu besuchen stand er schon im Gang und rief mir zu: «Maria, Maria!» Er wollte dann wissen, wie es den Leuten in Müstair ging und was sie machten. Er war in Gedanken noch lange in Müstair.

 

Einmal kam eine Klosterfrau die Pater Maurus gut kannte, in die Ferien ins Kloster Müstair. Sie nahm mich auf die Seite und bat mich nicht immer von Pater Thomas zu sprechen ich müsse jetzt mit Pater Maurus vorliebnehmen. Er war das Gegenteil von Pater Thomas. In seiner Zeit konnte ich selbständig sein, bei Pater Maurus wurde ich ständig kontrolliert.

 

Sie wollten Pater Thomas nach Müstair bringen und hier auf dem Friedhof begraben, aber das Kloster Disentis wollte das nicht. Ich war an der Beerdigung in Disentis, mit dem Postauto sind wir gefahren. So viel ich ihm auch helfen musste in seinem Leben, aber dazu war ich nicht mehr imstande, seine Hand zu küssen. Als er noch da war wollte er das überhaupt nicht. Aber wenn der alte Abt Victor kam, dann küsste er seine Hand. Der war so alt wie Pater Thomas. Abt Victor zog dann die Hand mit einem Murren weg. Er wollte das auch nicht.

 

Bei der Predigt sang Pater Thomas sehr schön, er hatte eine ganz schöne Stimme. Eines Tages hörte ich ihn im Gang umher gehen und etwas singen. Da war ich schon ziemlich früh fertig mit meiner Arbeit, da war Mai-Andacht. Dann bin ich rüber und drinnen beteten die Klosterfrauen den Rosenkranz auf der Empore oben und dann hat Pater Thomas angefangen zu singen. Bei der Predigt hatte Pater Thomas es viel mit dem Teufel.

 

Die Kohlsalbe haben Pater Thomas und Bruder Franz im Kloster oben (Disentis) gemacht, sagen die Leute. Als ich bei Pater Thomas war hatte er keine Kohlsalbe. Er hatte nur Olivenöl, Kabis, verschiedene Tees und ein Pendel. Wir mussten immer das dicke Stück in der Mitte herausschneiden und das Blatt mit der Flasche flach rollen, bis der Saft rauskam. Bei Pater Thomas mussten wir immer zwei Blätter vorbereiten, aufgelegt hat er sie dann selbst. Bei den Beinen hat er die Blätter eingebunden. Jeden Tag hat er die Beine gebadet und danach mussten wir das Olivenöl einmassieren.

 

Es kamen ganze Autocars voller Leute zu Pater Thomas. Einmal war ich im Kloster, zu dieser Zeit ging es Pater Thomas schon nicht mehr so gut. An diesem Tag war auch ein Autocar da mit Leuten, die zu Pater Thomas wollten. Ich versuchte die Leute loszuwerden. Das ging zu und her beim Kloster! Der Briefträger kam und ich musste etwas unterschreiben, da schrie eine Frau daneben: «Ich bin vor dem Briefträger hier gewesen!» Es gab da einen Stoss Bücher von Pater Thomas, «Helfen und Heilen», «Raten und Retten», «Sammeln und Sichten». Ich musste diese Bücher wegnehmen. Die Leute sind wie die Räuber über die Bücher hergegangen. Ich habe die Bücher in eine Schublade gelegt und die Leute aufgefordert sich zu benehmen und ihnen gesagt, es würden alle Bücher bekommen. Mit der Zeit hatte ich dann alle bedient und konnte sie wieder die Treppe hinunterbegleiten. Dann sah ich eine Frau beim Zimmer in dem Pater Thomas schlief. Sie stand mit dem Rücken gegen die Leute. Sie kam zu mir und sagte: «Der Pater Thomas ist hinter dieser Tür, hab ich Recht?» Ich habe mich nicht getraut weder ja noch nein zu sagen. Sie wiederum sagte: «Zu sagen, dass Pater Thomas nicht hier ist, war das einzig Richtige, denn dieser Mann ist ganz schwer angeschlagen.» Sie war vor der Türe draussen und hat den Pater Thomas ausgependelt.

 

Genau beim Bett von Pater Thomas ging eine Wasserader durch. Da hat er Bakelitteller und unter die Matratze gelegt und Spiegel auch. Und dann ist ja Pater Maurus gekommen. Er verschob das Bett überall immer Zimmer. Er konnte nirgends schlafen. Und dann ist Bruder Franz einmal gekommen und hat mit mir ausprobiert. Er hatte wieder eine andere Methode als Pater Thomas. Ich musste den Arm hochhalten und wenn das nicht mehr ging, dann konnte er mir sagen, was nicht gut war.

 

Der Bischof Otto Wüst war ja einen Monat bei uns. Ihm mussten wir jeden Tag einen Krug Frauentee bringen und auch Kabis, wir hatten dann diese Binden. Er hatte im Kopf etwas.

 

Haferflocken, Haferflocken, Haferflocken……Haferflocken. Ich selbst habe es halt nicht so gerne. Ich war einen ganzen Winter allein mit Pater Thomas da drüben im Kloster. Dann hat es jeden Tag Haferflockensuppe gegeben. Einmal kriegt man genug Haferflocken.

 

Pater Thomas ass nicht viel Fleisch, aber an Weihnachten, das war früher Brauch in der Nacht, das jeder Geistliche drei Messen lesen konnte. Um 12 Uhr nachts war die erste und es wurde meistens zwei bis halb drei, bis er von der Kirche heraufkam. Dann gab ich ihm Tee und die Schwestern schickten Aufschnitt hinauf. Zu diesem Anlass ass er Fleisch wie sonst das ganze Jahr nicht. Ich dachte nur, wenn er nur gut schlafen kann!

 

Pater Thomas spielte die Zitter. Wenn er gut aufgelegt war, kam er und spielte…und wie!

 

Pater Thomas bekam so viel Post mit interessanten Adressen wie z.B. Kabispater. Der alte Posthalter oben sammelte die Adressen.

 

Wenn einem Kind etwas fehlte, konnte man mitten in der Nacht kommen. Pater Thomas sagte dann nie nein. Einmal ging draussen im Südtirol ein Kind verloren. Ein vier-jähriges Büblein. Pater Thomas konnte genau sagen, wohin dieses Kind gegangen war. Am nächsten Tag wurde es tot geborgen.

 

Ich hatte Respekt vor Pater Thomas. Einmal, da war gerade mein Sohn gestorben, bin ich zum Friedhof gegangen. Als ich ihn gesehen habe wollte ich nicht an ihm vorbei und habe die Strasse überquert, da hat er ebenfalls die Strasse überquert. Er war gekommen, um mir zum Geburtstag zu gratulieren.

 

Wenn Pater Thomas etwas nicht herausbringen konnte, telefonierte er Herrn Rüttimann aus Pontresina, der dann ins Kloster kam wo die beiden bis zu einem halben Tag miteinander pendelten. Die beiden arbeiteten viel zusammen.

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S.C., Müstair, 16. Juli 2003

Wir haben schnell gemerkt, dass Pater Thomas eine gesunde Kost für Leib und Seele wollte. Da hat er fest darauf gedrängt. Er hat das klösterliche Leben von Disentis hier weitergeführt. Er war gar nicht anspruchsvoll. Ganz und gar nicht. Er hat hauptsächlich immer auf ein gesundes Essen geschaut. Ich war auch in der Küche in dieser Zeit und er wollte kein Fett, aber sehr gerne hatte er seine Haferflocken. Es wäre schade gewesen, wenn die rationiert gewesen wären. Die hat er sehr gern gehabt und er hat auch fest gearbeitet.

 

Es kamen sehr viele Menschen zu ihm – er hat ja gependelt. Wenn man gesagt hat, er solle doch zum Essen kommen, ein bisschen früher aufhören und die Leute in Gottes Namen ein bisschen früher gehen lassen, hat er einmal ganz energisch gesagt: «Ich kann nicht auf meinem Misthaufen sitzen.“

 

Mit uns war er sehr dankbar für alles, was wir gemacht haben. Er hat immer seine Anerkennung gezeigt. Er hat gesagt: „Ihr arbeitet viel.“ Und dann im Herbst, wenn die Arbeit im Garten und überall fertig war – wir gingen auch aufs Feld – dann hat er uns immer eine Freude gemacht und hat zwei- dreimal eine Kiste Trauben gekauft. Das haben wir gerngehabt, sehr gern. Wir konnten uns die Trauben nicht selbst kaufen. Das hat er immer als Anerkennung für die gute Arbeit gemacht.

 

Pater Thomas hat auch immer geschaut, dass wir das klösterliche Leben, hauptsächlich das Stillschweigen halten. Grosses Silentium haben wir am Abend, wenn es läutet. Sonntags um 19.45 Uhr läutet das Ave-Maria. Und bis am nächsten Morgen darf niemand reden, ausser im Notfall. Unten in der Küche und an der Pforte geht’s halt manchmal laut zu und wenn Pater Thomas etwas betrachtete oder gebetet hat und uns hörte, rief er: „Still!“. Also er war streng, aber ich bin froh darüber.

 

An den Sonntagen hat er immer einen Vortrag gehalten. Entweder zur Bibel oder wenn etwas in der Welt draussen geschehen war, so hat er uns das erklärt und gesagt, warum und ob das gut oder schlecht war. Und hie und da war er so in Eifer, dass er auf den Tisch geklopft und nach einer Weile gesagt hat: „Ach Entschuldigung, ich dachte es seien andere da.» Da war er ganz streng.

 

Pater Thomas hat uns immer gesagt, was man versprochen hat, soll man auch halten. Und das ist so. Bei der Profess versprechen wir Beständigkeit des Ordens und Gehorsam und der Gehorsam geht halt nicht immer ganz gut, oder leicht, könnte man sagen. Er hat uns dann immer aufgemuntert und gesagt wir sollen es so machen und wenn es nicht gehe, sollen wir mit den Oberen reden und dann wird’s eine Erleichterung geben.

 

Einmal hat er mich ausgependelt und gefragt: „Was haben sie auf der Schulter?“ «Ich habe mit Heu umkehren weh getan und jetzt will’s nicht heilen.» «Zuerst legen sie Kabis auf und nachher reiben sie mit Olivenöl ein.» Ich muss sagen, das hat mir sehr gut geholfen. Aber ich habe auch Ausdauer gehabt. Ich habe die Kur ein ganzes Jahr gemacht. Jeden Tag und wenn es entzündet war, dann durfte ich kein Kabis drauf tun, dann musste ich Olivenöl nehmen. Ich habe dann immer, wenn ich eingerieben habe, ein altes Tuch draufgelegt, damit es nicht das ganze Bett verschmieren konnte. Gestunken hat es schon manchmal, aber es hat geholfen. Ich muss sagen es hat mir immer geholfen. Einmal habe ich Pater Thomas gesagt: «Wenn ich Olivenöl einreibe, werde ich rot und es brennt. Darauf hat er gesagt: «Ja, ist es nicht das kalt gepresste Olivenöl?» Darauf hatte ich nicht geachtet. Nachher hat er immer den Patienten geraten, das kalt gepresste Olivenöl zu gebrauchen, weil das andere mit der Zeit ranzig wird. Ja ja, er hat viele Tipps gegeben. Kabis auflegen und einreiben. Das haben viele gemacht.

 

Es sind sehr viele Menschen zu Pater Thomas gekommen. Einmal ist eine evangelische Frau aus dem Engadin gekommen. Sie kam in die Kirche, ich war zu dieser Zeit in der Küche am Putzen. Sie hat gefragt, wo die Maria sei. Ich habe ihr darauf die Kapelle gezeigt. Sie sagte, sie habe sechs Kinder. Das dritte oder das vierte, das weiss ich nicht mehr genau, dass hat so Kopfschmerzen gehabt, dass es immer an die Wand geschlagen und immer geschrien hat. Die Aerzte haben gesagt: «Ja, sie müssen das Kind in ein Spital oder in eine Erziehungs- oder psychiatrische Anstalt bringen.» Die Frau hat zum Arzt gesagt: «Bevor ich das mache, gehe ich nach Müstair zum Pater Thomas.» Der Arzt hat gesagt, sie solle nur gehen. So ist sie zu uns gekommen und Pater Thomas hat das Kind ausgependelt und gesagt, das Kind habe am Nacken einen Knopf und das müsse aufgelöst werden. Nachdem sie die Kur eine Weile durchgeführt hat, sei es sei ganz rot geworden, worauf sie gleich Pater Thomas angerufen habe um ihm davon zu berichten und zu fragen, was sie nun tun müsse. Er sagte ihr, sie solle keinen Kabis mehr auflegen und nur mit Olivenöl einschmieren, aber ganz ganz sachte. Die Frau hat die Kur weiter gemacht, bis Eiter oder Wasser an der Stelle, wo der «Knopf» war, rausgekommen ist. Sie hat weitergemacht und ihn gefragt, ob sie noch mal kommen dürfe. Das Kind hatte inzwischen nicht mehr die grossen Kopfschmerzen. Ob es ganz gut geworden ist, weiss ich nicht. Die Frau wollte Pater Thomas eine Freude machen, die er mit folgenden Worten abgelehnt hat. «Ich brauche nichts. Gehen Sie in die Kirche und danken sie Gott und Maria.» Ich habe die Frau später noch einmal gesehen und sie hat mir gesagt, dass der Bub die Schule weiterhin besucht und jetzt in der 3. Sekundarschule sei. Sie sagte auch, dass sie dem Pater sehr dankbar sei.

 

Andere sind auch gekommen und haben Hilfe erhalten. Ich glaube die Hilfe von Pater Thomas war nicht so viel für den Körper, sondern vielmehr für die Seele und den Geist. Dass die Menschen auf bessere Wege kommen und auf bessere Gedanken. Das war glaube ich mehr seine Tätigkeit mit dem Pendel.

 

Es war sehr schwer für Pater Thomas als er nach Disentis musste. Er hatte Parkinson. Wir konnten ihn nicht mehr pflegen. Es war schon von Anfang an abgemacht, wenn es mal so weit kommen würde, dass man ihn pflegen muss, dann würde er nach Disentis zurückkehren. Ich glaube, er ist nicht ungern gegangen. Ich weiss es nicht, er hat sich nie geäussert. Es war vielleicht schwer, die ersten Tage, aber er hatte eine gute Betreuung durch den Bruder Franz in Disentis. Das ist ein ganz Guter.

 

Wir haben am Anfang seine Tätigkeit vermisst und er war nicht mehr da zum Essen. Wenn er konnte, war er pünktlich zum Essen, aber es kam vor, dass er am Abend spät zum Nachtessen kam. Ja, dann waren wir halt auch nicht zufrieden in der Küche. Das Essen musste warmgehalten werden und dann war es nicht so gut. Er hat aber nie reklamiert über das Essen. Das hat er nie gemacht.

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R.C., Chur, im Herbst 2002

Ich habe Pater Thomas schon als Kind kennengelernt. Er kam als Seelsorger nach Siat zum Aushelfen, als ich noch nicht in die Schule ging. Meine älteren Schwestern gingen zu dieser Zeit zu ihm in den Unterricht. Ich habe ein Foto, auf dem er mit der ganzen Klasse der 1. Kommunikanten vor der «Casa Parvenda» steht. Seit dieser Zeit bin ich immer wieder auf Pater Thomas aufmerksam geworden. Er hat jeweils den Rapport des Festes von «Sogn Placi» verfasst. Nach solchen Festen gab es grosse Artikel in der «Gasetta Romontscha» von Pater Thomas und man las auch sonst immer wieder von ihm.

 

Besser kennengelernt habe ich Pater Thomas, als ich als Sekundar-Lehrer ins Münstertal gekommen bin. Das war im Jahr 1977/78. Da habe ich die Gelegenheit gehabt jeweils zu den Mittag- und Morgenessen in das Kloster «Sogn Gion» zu gehen. Ich habe die Mahlzeiten mit Pater Thomas genossen. Er kannte mich wie oben erwähnt von früher aus Siat. Er wusste genau, woher ich kam. Ich habe ihn als sehr autoritären Menschen kennengelernt. Aber auf der anderen Seite auch als wohlwollender und guter Mensch. Es war interessant, wenn er am Tisch sass. Er erzählte immer von allen möglichen Dingen, die geschehen waren. Auch aus seinem Leben. Als Jugendlicher hatte Pater Thomas Konditor in der Konditorei seiner Eltern gelernt. Einmal hat er erzählt, dass ihm sein Vater am ersten Ausbildungstag gesagt hat, er sei von nun an nicht mehr sein Sohn und dass er nicht mehr Rechte hätte als die anderen Lehrlinge. Er hatte eine sehr strenge Erziehung zu Hause. Das hat er immer wieder betont.

 

Ich habe auch gehört, dass er Diskussionen mit Leuten, die im Kloster ihre Ferien verbrachten, geführt hat. Das waren in der Regel Verwandte der Ordensschwestern. Und wenn sie dann auf die Religion zu sprechen kamen, wenn jemand einen Zweifel hatte, dann konnte er sehr energisch werden. Dann konnte er seine Stimme heben und klar sagen, wie die Dinge für ihn standen. Dort kannte er keinen Spass. Ich erinnere mich daran, dass Pater Thomas ausserordentlich gerne Crèmeschnitten ass. Er mochte allgemein sehr gerne Patisserie und das wussten die Ordensschwestern, die dafür sorgten, dass es bei jedem Feste Crèmeschnitten gab. Daran hatte er sehr Freude.

 

Ich bin auch dagewesen, wenn er Besuch hatte. Er hatte viel Besuch. Zum Beispiel vom Abt von Disentis. Ich musste ihn dann jeweils abholen, wenn er mit dem Postauto kam. Ich machte das gerne und ich genoss die Gesellschaft von diesen zwei Persönlichkeiten.

 

Schon von Anfang an habe ich gesehen, dass er sehr viele Patienten hatte, die zu ihm kamen. Vor allem Patienten, die von weiter herkamen. Die von den umliegenden Dörfern weniger. Die vom Tirol kamen in richtigen Scharen. Die sah ich, wenn ich jeweils zum Essen kam, wenn sie an der Pforte warteten. Es konnte auch passieren, dass Pater Thomas keine Zeit hatte zum Essen zu kommen oder nicht rechtzeitig kam, weil er so beschäftigt mit seinen Patienten war. Manchmal hörte ich, dass er ganz plötzlich zu sehr schwer kranken Menschen ins Tirol gefahren wurde. Diese Menschen hatten ein sehr grosses Vertrauen in Pater Thomas, wahrscheinlich weil er ein Pater war, weil er einen speziellen Respekt genoss.

 

Am Abend ging er viel nach draussen. Ich sah ihn manchmal, wenn ich irgendwo unterwegs war, dass er sogar in der Kälte und Dunkelheit noch draussen spazieren ging. Manchmal ging er recht weit, trotz aller Kälte. Im Sommer ging er auch ab und zu in die Berge. Er sagte, es sei gesund in die Höhe zu gehen und irgendwo mit nacktem Po in einen Brunnen oder in einen Ameisenhaufen zu sitzen. Davon erzählte er oft.

 

Manchmal war eine oder die andere Schwester im Spital in St. Maria. Dann musste ich nach dem Mittagessen mit Pater Thomas dahinfahren und dort warten, bis er wieder kam. Dafür hat er mich ein Buch auslesen lassen. Auch mit seiner Haushalthilfe war er sehr gut. Sehr anständig.

 

Seine Patienten waren für Pater Thomas sehr wichtig und sie hatten angefangen sehr häufig zu kommen. Er erzählte, die Ärzte hätten nicht sehr gerne, dass die Patienten zu ihm kämen, weil sie ja dann den Ärzten fehlten. Ich glaube, dass es dann irgendwann dazu gekommen ist, dass sie ihm verboten haben zu praktizieren. Er dürfe keine Patienten empfangen, er müsse ein Examen ablegen, wurde ihm gesagt. Pater Thomas hat sich dann für dieses Examen vorbereitet. Er hat mir Skizzen gezeigt, die er von den Organen des Körpers gemacht hat. Von den Funktionen des Körpers hat er mir erzählt. Ich kann allerdings nicht sagen, ob er das Examen gemacht hat oder nicht. Ich weiss nur, dass die Patienten weiter zu ihm gekommen sind und dass er ihnen gesagt hat, er verbiete es nicht ihn aufzusuchen. Er hat keine Werbung gemacht. Wenn Pater Thomas etwas Schwerwiegendes feststellte, oder eine Krankheit ausgependelt hatte, die sehr weit fortgeschritten war, riet er dem Patienten einen Arzt aufzusuchen. Er hat zu mir gesagt, er sei niemals Risiken eingegangen, dass er nie jemanden davon abgehalten hätte zum Arzt zu gehen.

 

Ich habe Pater Thomas als einen sehr wohlwollenden, sehr angenehmen Mann kennengelernt, der keine Spässe kannte (per causas da cardientscha).

Ich sah, dass er es gar nicht gerne hatte, wenn die Leute nicht gut angekleidet in die Klosterkirche gingen. Vor allem tolerierte er nicht, wenn die Frauen mit kurzen Ärmeln und kurzen Hosen in die Kirche gingen. Das hatte er auf einen Zettel geschrieben und vor der Kirche aufgehängt. Der war immer da in der Zeit als er im Kloster war. Da konnte er sehr streng sein.

 

Sein Pendel benutzte er auch ausserhalb der Pendeldiagnose für einen Patienten. Einmal hatte jemand einen Stein auf ein Auto geworfen und es hatte eine Beule gegeben. Da hat er gesagt, er schaue gleich einmal, ob das ein Junge oder Mädchen sei, der den Stein geworfen habe. Das kam mir sehr lustig vor.

 

Wenn jemand nicht zu ihm kommen konnte, konnten die Patienten oder Angehörigen ein Foto schicken oder Kleidung mitnehmen. Dann konnte er aufgrund des Fotos oder der Kleidung sagen, was diese Person hatte. Er hat mir auch immer wieder von Kindern erzählt, die nicht schlafen konnten. In diesem Fall sagte er: «Stellt das Bett auf einen anderen Platz und versucht es.» Er erzählte von den Wasseradern, die bewirkt hatten, dass die Kinder nicht schlafen konnten und dass ein Umstellen des Betts guten erholsamen Schlaf brachte.

 

Pater Thomas erzählte mir, dass er den Patienten Präparate von Pfarrer Künzle empfahl. Und dann natürlich Kabis und Olivenöl um die Kur durchzuführen.

Kabis und Olivenöl, das war wirklich die Hauptsache. Er sorgte dafür, dass im Klostergarten Kabis gepflanzt wurde denn davon brauchte er natürlich auch für sich. Er riet auch den Schwestern, Kabis aufzulegen. Das war für ihn sehr wichtig.

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B.C., Müstair, 15. Juli 2003

Ich hatte Probleme mit dem Speichel. Am Morgen, wenn ich aufgestanden bin und den ersten Bissen genommen habe, war es richtig angeschwollen im Mund. Ich bin zu Pater Thomas runtergegangen und er hat gesagt ich müsse keine Angst haben. Dann hat er gependelt und gesagt mein Blut und alles sei in Ordnung. An diesem Tag konnte ich nichts mehr essen. Ich war wie blockiert. Eine Zeitlang war alles gut und dann hatte ich das Problem wieder, worauf ich zum Doktor gegangen bin. Dieser sagte mir, es könne von den Zähnen kommen, ich solle zum Zahnarzt gehen, um zu schauen ob da was sei. Der Zahnarzt hat alles kontrolliert und nichts gefunden. Er konnte sich nicht erklären, wo das Problem herkam.

 

Das mit dem Speichel passierte immer am Morgen. Manchmal ging das eine Woche, manchmal auch weniger. Dann konnte ich nur ein bisschen Suppe essen. Ich war sehr unruhig wegen dieser Sache. Ich habe mich wieder an Pater Thomas gewendet. Er sagte, ich könne ruhig sein, ich brauche keinen Arzt, es sei alles in Ordnung. Und dann bin ich trotzdem noch einmal zum Zahnarzt. Er hat mir eine Krone gezogen, damit ich mal «Ruhe» habe, wie er mir sagte. Danach ist alles wie vorher weitergegangen. Pater Thomas sagte mir wo ich Kabis auflegen und Olivenöl einreiben musste. Ich habe diese Kur sicher während drei Jahren gemacht. Ich bin manchmal am Abend, wenn ich schon im Bett war, nochmal aufgestanden und den Gang herunter gegangen um Kabis zu holen. Ich habe regelmässig Kabis aufgelegt und immer mit Olivenöl massiert. Der Zahnarzt sagte mir, dass er mich nach seinem Militärdienst operieren werde. Er wollte aufschneiden und schauen was das Übel sei. Kurz danach habe ich in der Nacht etwas in meinem Mund gespürt, was sich als Pfefferkorn entpuppt hat. Am nächsten Tag bin ich damit zu Pater Thomas, der zunächst schelmisch gelacht hat. Als der Zahnarzt zurückgekommen ist habe ich ihm vom Pfefferkorn und der Kur erzählt die ich gemacht habe. Er sagte, er hätte nie gedacht, dass ich mit der Kur Erfolg haben würde, und er hätte mir sicher davon abgeraten, wenn er es gewusst hätte.

 

Ich hatte immer ein Zutrauen zum Pater Thomas und nachdem er gestorben ist, habe ich in sehr vermisst. Ich habe mir gedacht, dass jemand ganz wichtiges nicht mehr da ist. Er hatte immer Heimweh nach Müstair und wäre so gerne hiergeblieben. Aber die Klosterfrauen sind eben alle etwas älter und hatten nicht die Zeit und Kraft, um ihn zu pflegen. Die letzte Zeit hier war er fast nur im Rollstuhl. Er wäre so gerne hiergeblieben und auch hier begraben worden. Das hatte er mit meinem Mann – er schaut zum Friedhof - schon besprochen. Er hat mit ihm darüber geredet, wo es ein Plätzchen für ihn hätte. Mein Mann wollte ihn so gerne hierbehalten, aber die aus Disentis haben das nicht zugelassen.

 

Wir sind später nach Disentis gefahren, um Pater Thomas zu besuchen. Er mochte es sehr, wenn die vom Münstertal gekommen sind, um ihn zu sehen. Er hatte immer grosse Freude.

 

Mein Mann hat berichtet, dass Pater Thomas oft im Friedhof barfuss hin und her gelaufen ist und den Rosenkranz gebetet hat. Barfuss laufen sei gut für die Zirkulation, hat er gesagt.

 

Mein Mann hatte einmal so fest Fieber, er war sonst nie krank. Ich bin gleich zu Pater Thomas gegangen, der sofort mit zu meinem Mann gekommen ist. Er sagte, das Fieber komme von den Nieren. Nierenbeckenentzündung. Wir haben dann Salzwassersocken gemacht. Die Socken haben wir in Salzwasser gelegt und nachher meinem Mann angezogen und ihn gut zugedeckt. Die Matratze haben wir vorher mit einem Frottiertuch geschützt. Bis am Abend war das Fieber weg. Mein Mann hatte später nie mehr etwas mit den Nieren oder sonst eine Krankheit. Wir hatten ein grosses Vertrauen zu Pater Thomas.

 

Ich selbst habe die Kur auch immer wieder angewendet. Wenn die Schulter schmerzte, wenn die Hüfte schmerzte, immer Kabis. Gerade lege ich auch wieder Kabis auf. Fleissig muss man die Kur machen, sonst hilft es nicht. Man muss schon Ausdauer haben.

 

Eine Zeit lang habe ich sehr schlecht geschlafen. Dann ist Pater Thomas zu mir heraufgekommen und hat gesagt, das Bett liege auf einer Wasserader. Ich solle das Bett rüber an die Wand schieben. Nachher war ich viel ruhiger und konnte gut schlafen.

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P.B., Obersaxen, 05. März 2002

Ich habe Pater Thomas als Lehrer kennengelernt. Im ersten Jahr hat er mich Buchhaltung gelehrt, im zweiten Jahr Religion. Er erzählte mir von Apologetik, das heisst Glaubensverteidigung. Das hat sich natürlich gewaltig angehört und dabei war es einfach der Katechismus und wir haben es halt nicht gemerkt. Pater Thomas hat immer gesagt er hätte Mühe mit den Schuhen, da hat er sie aufgeschnitten, damit die Füsse Luft bekommen und wir sagten, wir hätten den Käse. Er sagte, die Füsse einzuschliessen sei nicht gut und er ist, wenn immer möglich in Sandalen herumgelaufen. Er hat auch immer, wenn er irgendwo hin gegangen ist, vor allem im Winter, den Mantel mitgenommen, damit er keine Erkältung bekam.

 

Er hat erzählt, wie das gegangen ist mit dem Pendeln. Da hatte ein Kind einen Plastikbändel. Pater Thomas hat diesem Kind etwas gegeben und ihm den Bändel abgenommen. Damit hat er gependelt und gemerkt, dass er das kann und hat viele Sachen rausgefunden und den Leuten helfen können. Die Walliser, die gekommen sind, die haben nur so gestrahlt. Der Bankchef von Brig, den habe ich selbst gut gekannt. Der ist gekommen und hat gesagt er hoffe, dass er geflickt werde. Oder der Professor soundso, den hat er zwei Stunden warten lassen, aber nachher hat er ihn geflickt und ihn anschliessend zum Mittagessen eingeladen. So originelle Sachen. Ich habe ihn immer gefragt, warum er nicht Brüche diagnostizieren könne. Pater Iso ist die Treppe runterfallen und hatte darauf einen Oberschenkelhalsbruch. Pater Thomas hat gependelt und gesagt, es sei verstaucht. Maria seine Hausdienerin ist auf dem Eis draussen ausgerutscht und ist den ganzen Tag herumgelaufen. Pater Thomas hat gesagt: «Nüt isch, nüt isch». Am Abend ist sie ins Spital gegangen. Der Doktor hat geschimpft und gesagt, was ist denn hier los. Sie laufe seit einem halben Tag mit gebrochenen Knochen umher und das sei nicht gut. Dann hat Pater Thomas immer gleich gesagt, das Pendel hätte das nicht angegeben. Er hat er gesagt, er habe gemeint er wisse es. Das ist wie überall wo wir sind wo wir etwas können kommt man einfach an seine Grenzen. Auch mit meiner Mathematik, irgendwo ist einfach fertig. Ich war wohl einer der 20 besten von 1200 Studenten, die in Fribourg Examina gemacht haben. Ich habe einen 5er gemacht, 6er hats keine gegeben. Und Pater Thomas hat auch auf seinem Gebiet gewisse Grenzen gehabt. Ich schätze etwa 80% hat er heilen können. Ausser wenn es klar war, wenn er am liebsten gehabt hätte, wenn sie nicht mehr gekommen wären. Das muss man auch wieder sagen, er hat gesagt da kann man nichts mehr machen. Ja wenn die Stunde schlägt, da kann der Beste nichts mehr machen. Pater Thomas war ein sehr guter Buchhaltungslehrer. Ich habe ja schon gesagt, er war ein Bäcker. Er kam von einem Geschäft. Eigentlich Konditor, ich darf nicht sagen Bäcker. Er ist von einer Konditorei gekommen, hat dort gelernt zu rechnen, die mussten das ja. Er hat im Koster auch gut gerechnet und hat eine sehr gute Buchhaltung geführt. Er hat auch die Klosterbuchhaltung von Disentis gemacht. Im zweiten Jahr hat er Religion unterrichtet. Eine super Religion, eben diese Apologetik, das war also gut. Nachher ist er nach Rumein gekommen. Ungern, er ist nicht gerne gegangen und hat nach 12 Jahren gehofft, er könne zurück ins Kloster. Er wäre gerne zurück ins Kloster gegangen, aber der neue Abt, der Anno 1963 gewählt worden ist, hat gesagt er brauche ihn für Müstair und Pater Thomas hat schweren Herzens Abschied genommen von Rumein und ist schweren Herzens nach Müstair gegangen und schlussendlich war es ihm dort wohler als auf der ganzen Welt. Als sie Pater Thomas wieder heimgeschickt haben, diese Klosterfrauen, also die Priorin gefunden hat, er solle jetzt nach Hause gehen, was ich nie begriffen habe, dann ist er sehr ungern gegangen und zwei Jahre in Disentis oben, hat er noch ganz von Müstair gelebt. Die Priorin hatte schon die ehemalige Priorin und andere Leute fortgeschickt, sie hatte einfach diese Methode, sie ist keine schlechte Priorin, aber menschlich…, gerade für Pater Thomas, den das so getroffen hat.

 

Pater Thomas hat für seine Gesundheit immer sehr viel getan. Er ist rausgelaufen aufs Feld und irgendwo in der Dunkelheit bei einem Bach untergetaucht. Ich habe manchmal gedacht, hoffentlich kommt er wieder heim. In dem kalten Wasser, aber es ist gut gegangen. Wegen seinem Parkinson, worunter er sehr gelitten hat, hat ihm einmal der Doktor Spinnler, der Tal-Arzt gesagt: «Sie Pater Thomas, wir haben auch gute Medikamente.» Da hat er gependelt und es ist ein bisschen anders herausgekommen. Ich habe die grossen Erfolge gesehen, die er hatte. Ich habe gesehen was ihm nicht gelungen ist.

 

Er hatte sehr Freude als er mir Fotos von Kindern gezeigt hat, die er heilen konnte. Von Leuten, die er heilen konnte und ich habe natürlich die Leute, durch das ich mit dem Wallis so verbunden war, gekannt. Ich bin nachher noch mal für zwei Jahre ins Wallis und die Leute sind immer zu mir nach Brig gekommen und ich musste ihnen sagen, ich könne da leider nicht helfen. Ich könne schon pendeln, aber es nütze nichts.

 

Pater Thomas hat sehr gesund gegessen und wenig Wein getrunken. Er hat zu mir nie gesagt ich solle aufpassen. Professor Belwald in Brig hat 1975 schon mir gesagt, Herr Pater, sie gehen immer zu spät ins Bett und sie trinken zuviel Alkohol, auch sollten sie das Rauchen sein lassen. Er hat mich einmal im Jahr durchgependelt und ich habe gedacht ich befolge diese Ratschläge wenn es nötig ist. Ich habe diese Dinge zu wenig angenommen.

 

Pater Thomas war immer ganz lieb auch wenn man nicht seine Wellenlänge gehabt hat. Er liess einen leben. Er war froh um jeden Posten, den er behalten konnte, zum Beispiel das Geld zu verwalten. Er ist früher nie mit den anderen vom Engadin zusammen ans Kapitel gegangen. Sobald ich dort war, habe ich ihm gesagt er solle mitkommen und heute frei machen. Wenn er nicht gerade zuviel zu tun hatte, ist er gekommen.

 

Er hat mit 19 oder 20 in der Konditorei die Lehre fertig gemacht und ist dann nach Schaffhausen und hat dort in einer Bäckerei/Konditorei gearbeitet, in der es Schaffhauserzungen und andere wunderbare Spezialitäten gegeben hat. Er war so talentiert und intelligent, er hat ja zweimal eine Klasse im Gymnasium übersprungen.

 

In Disentis sagte er manchmal: «Was hat denn da der Bruder Roman, der Bäcker wieder gemacht?» Pater Thomas’ Augen waren ein bisschen spitzbübisch.

 

In Rumein hat er sehr hart gearbeitet, er hat die Kirche renoviert und am Sonntag gepredigt. Es hat dann am Sonntag immer geheissen, Benedikt geh nach Vrin zum Predigen. Pater Thomas hat mir die Predigt auf Romanisch gegeben und es hat dann immer geheissen, sie predigen ja besser als Pater Thomas. Da musste ich schmunzeln. Ab und zu hat er ein bisschen schnell gepredigt und man hat ihn nicht so ganz verstanden.

 

Wir haben die schönsten Ferien gehabt, bei Pater Thomas hinten. Er war Chef vom Beneviziat Rumein. Das habe ich immer genossen, das war wunderbar. Ich habe sieben Jahre mit Pater Thomas zusammengelebt und das war sehr schön. Ich habe Pater Thomas bewundert in seiner tiefen Religiosität. Am Morgen ist er immer früh aufgestanden, ich habe ihn einmal am Morgen am Boden draussen gefunden, er hatte noch das Pyjama an und lag am Boden.

 

Pater Thomas hat mich immer ausgependelt, aber ich habe es nie angenommen. Dumm, aber ich habe es so gemacht. Ich habe als Patient nie etwas von ihm angenommen. Aber ich könnte Hunderte von Menschen aufzählen, die hoch begeistert sind oder waren von Pater Thomas. Warum ich das nicht geglaubt habe? Wenn man um solche Leute wohnt, die das können, glaubt man nicht so daran. Aber es gibt keinen rationalen Grund dafür. Pater Thomas ist nie auf das Geld ausgewesen.

 

Pater Thomas hat drei Bücher geschrieben. Ich kenne seine Schriften nicht, vielleicht sollte ich sie mal lesen. Er hat viel in der Gassetta Romontscha geschrieben. Es sind religiöse Artikel gewesen. Damals als er da hinten war, er war natürlich selbständig, sind die Priester vom ganzen Dekanat vorbeigekommen. Er hat ihnen immer etwas Supergutes erzählt, am Anfang hypermodern, und dann sind solche gekommen, die ihn links überholt haben, der Cathomas von Breil und dann ist er in die Opposition gegangen. Er war der erste der die Osternacht eingeführt hat, das war damals ein Ereignis. Später hat er immer gebremst, aber die Leute haben das geschätzt.

 

Er hat auch Theater geschrieben. Er war kaum ein Jahr in Müstair, hat er ein Theater geschrieben in Jaur, im Unterengadiner Dialekt. Einmal hat Pater Thomas in den Ferien immer eine Torte gemacht, die war sehr gut, das war ein Fest. Wir haben auch lange zusammen die Übersetzung von Pius XII gebetet. Man hat immer das vom Hironimus gebetet vom Jahr 500 ungefähr bis 1956 und dann ist die neue Übersetzung herausgekommen. Wir beide, er der relativ mittelalterliche dazumal und ich der ganz junge, haben einfach die neue Übersetzung genommen. Er hat übrigens in Rumein auch immer gute Kurse gegeben. Er hat auch Bücher geschrieben, Tischgebete oder so Sachen. Er war ein sehr interessanter Mann. Er ist immer gerne mitgekommen. Er hat es genossen, mit den Kollegen die alt und älter geworden sind zusammen zu sein. Amen

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Frau Rosalia Dudli, Luzern, 13. März 2003 / Schwester von Pater Thomas Häberle

Sie wissen ja, wann Pater Thomas geboren ist. Interessant ist, dass er am Palmsonntag geboren und am Palmsonntag gestorben ist. Ich bin 7 Jahre jünger als Pater Thomas, dazwischen war noch ein Bruder, der Alfred. Pater Thomas war der älteste. Er hat zuerst die Sekundarschule gemacht und dann eine Lehre. Er war in Schaffhausen in der Konditorei Reber. Dort hat er angefangen Lateinstunden bei einem Pfarrer zu nehmen. Ich glaube er stand jeweils am Morgen um vier Uhr auf und lernte Latein. Pater Thomas wagte es nicht, zu Hause zu sagen, was er im Sinn hat. Ein ehemaliger Lehrling meines Vaters arbeitete zu dieser Zeit in einem anderen Geschäft. Das war der Eugen. Diesem klagte Pater Thomas was in beschäftigte. Eugen wiederum rief unseren Vater an und sagte ihm, Pater Thomas wolle Pfarrer werden oder sogar ins Kloster gehen. Der Vater sagte daraufhin, dass gehe ihn nichts an.

 

Pater Thomas ging wieder nach Hause wo ihn der Vater wieder anstellte. Ich weiss nicht mehr wie lange. Der Vater nahm in «ghörig» dran, er wollte dem Sohn seine Ideen austreiben, es ging ihm um die Nachfolge. Das ist ihm nicht gelungen. Pater Thomas liess sich nicht abbringen, worauf hin er nach Beromünster ins Gymnasium gegangen ist. Dort gefiel es Pater Thomas nicht, die Schule an und für sich schon, aber das Zimmer behagte ihm nicht. Daraufhin ist er nach Disentis ins Kloster.

 

Frau Dudli liest aus dem Sarganserländer von Hr. Pfiffner ehemals Chefredaktor: Der hochbegabte Stadtluzerner, geboren am 31.03.1912 liess sich zuerst im väterlichen Betrieb zum Konditor ausbilden. Als er die Ordensberufung spürte nahm er Lateinunterricht, bestand eine glänzende Matura und trat 1932 ins Kloster Disentis ein.

 

Da war er also 21 Jahre alt. Bei der Profess im Jahre 1937 erhielt er den Namen des heiligen Thomas von Aquin und wurde 1941 zum Priester geweiht.

 

Pater Thomas musste im Kloster Disentis die Finanzen kontrollieren. Er stellte fest, dass etwas nicht stimmte und meldete dies dem Abt. Danach kam er nach Rumein, wo er anfing zu pendeln. Die Leute kamen zu ihm und er konnte vielen Menschen helfen.

 

Mein Vater hat an der Cysatstrasse in Luzern gebaut und dort hat er einen Wasserschmöcker kommen lassen. Der konnte feststellen, dass es Wasser hatte. Der Vater versuchte es auch mit der Rute und die riss es ihm sofort aus der Hand. Er hatte diese Gabe auch. Also ich selbst kann auch pendeln, ich mache das aber nur um zu schauen, ob es Wasseradern hat. Als ich in diese Wohnung gekommen bin, habe ich auch darauf geschaut. Das Haus an der Cysatstrasse steht noch, aber sie haben es «truurig verschandelt». Es hatte so eine schöne Veranda, wo man die Schiebefenster aufmachen konnte, und zuoberst hatte es einen Balkon.

 

Frau Dudli zeigt viele Fotos von Pater Thomas und Familie und kommentiert diese. Unter anderem zeigt sie ein Foto vom geistlichen Vater von Pater Thomas, sein Onkel und Bruder seines Vaters. Die geistliche Mutter war Anna Wiprächtiger, die Schwester des Pfarrers Wiprächtiger. Er war der Cousin des Vaters. Er war viele Jahre Pfarrer in Arbon.

 

Mein Grossvater hatte bereits das Konditorei-Geschäft in Luzern gegründet. Es war ein schmales Haus, wie es viele in der Altstadt hat. Frau Dudli zeigt das Wohnzimmer, dass später zum Café wurde.

 

Ich habe 6 Söhne und 1 Tochter.

 

Frau Duft fragt, ob Pater Athanasius, Sohn von Frau Duft, Pater Thomas ins Kloster Disentis gefolgt ist.

(P. Athanasius wurde als Bürger von Hauptwil-Gottshaus TG in Rorschacherberg als erstes von 7 Kindern des Ehepaares Eugen und Rosalia Dudli-Häberle geboren und auf den Namen Karl getauft. Als er drei Jahre alt war, zog die Familie in die Stadt St. Gallen, wo der Vater als Primarlehrer tätig war. Nach der Primarschule besuchte er zwei Jahre die katholische Sekundarschule, weitere zwei Jahre die Kantonsschule und kam dann in die Klosterschule nach Disentis. Der Weg nach Disentis war durch seinen Onkel mütterlicherseits, P. Thomas Häberle, vorgespurt. Nach der Matura 1965 studiert Karl ein Jahr in Fribourg, dann entschliesst er sich für die Rückkehr und den Eintritt ins Kloster Disen- tis. Es folgen weitere Studienjahre in Ampleforth Abbey in England und in München. Am 10. Oktober 1970 legte P. Athanasius seine feierliche Profess ab und wurde am 20. März 1971 von Bischof Johannes Vonderach zum Priester geweiht. Kath. Kirchgemeinde Disentis, rapport annual 2022)

 

Pater Attanasius wollte zuerst zu den Jesuiten. Ich glaube er war ein halbes Jahr da. Es hat ihm nicht gefallen. Er habe gerne Liturgie und das hätten die Jesuiten nicht. Er ginge lieber nach Disentis. Er hat dann dort die Matura gemacht und ist ins Kloster eingetreten. Im Jahr 1971 hatte er die Primiz.

 

Meine Tochter hat die Heimerzieherinnen Schule in Baldegg gemacht. Jetzt ist sie im Flüeli Ranft.

 

Ich bin das erste Mal mit dem jüngsten Sohn Ivo, da war er 5 Jahre alt drei Wochen in den Ferien in Müstair gewesen. Pater Thomas ist nicht so gerne nach Müstair gegangen. Ich bin auch mit meinem Mann in Müstair in den Ferien gewesen. Wir waren bestimmt 20-mal da. Ivo hat bemerkt, was bei seinem Onkel läuft. Immer wenn ich etwas hatte, kam er zu mir und sagte ich solle Öl einreiben. Von den Söhnen ist vielleicht noch einer der sich mit dieser Sache abgibt und dann natürlich Pater Attanasius.

 

Die Begabung haben wir vom Vater. Die Mutter war eine sehr gute Krankenpflegerin. Ich kann mich noch erinnern. Ich habe einmal gefehlt in den vielen Schuljahren. Ich hatte den Mumpf. Sie hat mir dann Wickel gemacht und Caramelköpfli hat sie auch gemacht. Ich habe diese heute noch so gerne. Mein  Zweitältester hatte einmal so Schluck-Weh hatte. Der Doktor kam und sagte mein Sohn hätte Diphterie. Da habe ich Zwiebel-Wickel gemacht. Ich habe die Zwiebeln im Öl angedämpft.

 

Einmal ging es meinem Mann sehr schlecht, da habe ich den Arzt kommen lassen. Er sagte, es sei Rheuma. Pater Attanasius war auch da und berichtete davon seinem Onkel Pater Thomas als er wieder in Disentis war. Pater Attanasius rief uns an und sagte Pater Thomas habe gependelt und mein Mann habe eine Zyste hinter dem Steissbein. Ich habe dann Kabis über Nacht aufgelegt und am Morgen Öl eingerieben. Nach vier Tagen war mein Mann schmerzfrei und konnte wieder laufen. Wir sind dann zum Doktor und dieser sagte, dass man eine Zyste nicht auf dem Röntgenbild sehen könne, da könne man halt nichts machen. Da habe ich ihm gesagt, was ich gemacht habe, und darauf sagte der Doktor, ja seine Eltern würden auch so ein Zeug machen, Da fragte ich, von wo sie dieses Rezept hätten. Von einem Pater im Bündner Oberland, antwortete der Arzt. Ja das sei mein Bruder, sagte ich darauf.

 

Ich war schon auch ein bisschen vorsichtig und vor allem Ivo, meinen Sohn musste ich zum Arzt schicken. Die Diagnosen des Arztes und die vom Pater Thomas stimmten überein. Der Doktor gab ihm dann etwas zum Einnehmen.

 

Der Arzt der Kantonsschule erkundigte sich auch einmal nach Ivo. Ich sagte, dass es ihm gut gehe und dass wir Kabis auflegen und Olivenöl einschmieren würden. 

 

Die Südtiroler kamen zu Pater Thomas ins Kloster Müstair. Die Deutschen die da Ferien machten, kamen zu Pater Thomas. Ich habe keinen Kontakt mehr zum Kloster.

 

Ich habe der Frau meines Arztes einmal das Büchlein von Pater Thomas gegeben. Sie sagte, dass sei schon sehr interessant, aber sie wollen halt nicht darauf einsteigen.

 

Man kann mit der Ernährung auch viel machen.

 

Ich esse keine Haferflocken am Morgen, ich habe ja Kinder. Als ich in England war, vor dem Krieg, da haben wir immer Haferflocken bekommen, also Porridge. Haferflocken sind mir nicht so sympathisch.

 

Frau Dudli zeigt ein Geschenk, dass sie von Pater Thomas erhalten hat. Es ist ein Pendel.

 

Ich gehe alle paar Monate zum Doktor, um den Blutdruck kontrollieren zu lassen. Zum Schluss wartet er jeweils immer auf einen Witz von mir. Ich sage ihm dann immer, ja, es sei schon wichtig, dass ich schaue, das er gesund bleibt.

 

Ich nehme Medikamente für den Blutdruck und die Harnsäure und andere Beschwerden.

 

Pater Thomas hat geschaut, dass die Schwestern im Kloster Müstair nach draussen zum Arbeiten gingen, weil es ihnen gut tat an der frischen Luft zu sein.

 

Einmal bin ich Pater Thomas im Münstertal beim Wandern begegnet. Ich fragte ihn, wieso er eine Kutte beim Wandern anhabe, der Abt würde dies auch nicht tun. Darauf sagte Pater Thomas, er sei nicht der Abt.

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P. S.,Valchava,16. Juli 2003

Wir waren im Jahr 1964 als Gäste im Münstertal. Da haben wir das Kloster besichtigt und da war auch die erste Begegnung mit Pater Thomas. Wir haben ihn im Museum getroffen und mit ihm gesprochen. Pater Thomas hat bereitwilligst Auskunft gegeben. Wir haben uns dann nach dem Nonnenleben erkundigt. Meine Frau sagte, sie nehme an, dass die Klosterfrauen die Wäsche selber machen würden und ob sie denn eine Waschmaschine hätten. Dann hat Pater Thomas gesagt, und das war unser erster Eindruck von ihm abgesehen von seiner Erscheinung: «Nein, nein, die haben keine Waschmaschine und wir kaufen denen auch keine, sonst haben sie nichts mehr zu tun und dann kommen sie auf dumme Gedanken.»

 

Kurz bevor wir hier heraufgekommen sind, ist unsere Tochter verunglückt und darauf auf die Kinderintensiv-Station in Zürich gekommen. Ich war dann etwa 14 Tage hier im Tal verantwortlich als Doktor und dann konnten wir unsere Tochter holen. In dieser Zeit ist eine der Nonnen schwer krank geworden und wir wussten nicht, ob sie stirbt oder nicht. Ich habe zu Pater Thomas gesagt ich müsse am Samstag nach Zürich, um meine Tochter zu holen und ich würde am Sonntag wieder zurückkommen. Am Montag habe ich wieder Besuch im Kloster bei den Nonnen gemacht. Pater Thomas sagte zu mir es gehe der Schwester wieder gut. Ich sagte ihm, dass sie so «gspässig» laufe. Sie hatte eine Hirnerschütterung und ist darauf 3 Wochen gelegen und danach ist sie ganz komisch gelaufen. Dann hat Pater Thomas gesagt ob er pendeln solle und hat in seine Kutte gegriffen und das «Ketteli» rausgenommen mit dem goldenen Herz daran und hat angefangen zu pendeln. Ich habe zugeschaut und Pater Thomas hat gesagt, dass sei eine typische Kleinhirnentzündung. Ich habe dann zu ihm gesagt: «Jetzt hören sie aber auf, das ist völliger Kabis, was sie da erzählen!» Das war der erste Kontakt zwischen der Schulmedizin und der Medizin von Pater Thomas. Ich erzähle jetzt 2, 3 Dinge zum Zusammenstoss Schulmedizin – Pendelmedizin, also Kabismedizin.

 

Pater Thomas wusste immer etwas und es war fast immer das gleiche. Also er hatte quasi ein sehr probates Mittel. Das Olivenöl, mit dem man einreiben und den Öltest machen kann und schauen wo es «sitzt» und das Kabisblatt, das man auflegen kann. Dann hat er gesagt, dass das Blatt die Flüssigkeit herauszieht, und ich habe ihn gefragt: «Ja was ist denn, wenn es zu wenig Flüssigkeit drin hat?» Pater Thomas sagte darauf, dass das Kabisblatt dann Flüssigkeit abgebe. Das Kabisblatt richte sich quasi nach der Krankheit des Patienten. Für mich als Schulmediziner war das völlig daneben. Wir haben oft gestritten miteinander. Und ernsthaft ist es bei zwei Fällen geworden. Ein Mädchen, etwa 11- oder 12-jährig musste im Auftrag vom Vater ins Kloster, um Pater Thomas etwas zu bringen oder um etwas erledigen. Das Mädchen ist zu Pater Thomas, der sie fragte, ob er ihr die Hand nehmen solle zum Pendeln. Er hat dann das Mädchen ausgependelt und gesagt: «Wenn du nichts machst, also wenn du keine schulmedizinische Behandlung machen lässt, bist du mit 30 Jahren vollständig gelähmt.» Das ging für mich zu weit. Ich sagte zu ihm, dass er das nicht machen dürfe, das sei völlig daneben. Was soll der Schulmediziner mit dieser aus der Luft gegriffenen Diagnose anfangen. Wie soll er dem Kind diese Angst nehmen, dass es nicht diese Lähmung erleben wird?

 

Er hatte eine andere Patientin, die gekommen ist und Pater Thomas hat ihr gesagt, sie habe einen Herzfehler. Wir hatten keinerlei Anhaltspunkte für einen Herzfehler. Ich habe gar nichts gefunden. Die Patientin ist am Schluss in der Uniklinik in Zürich gelandet, um ihr zu beweisen, dass sie keinen Herzfehler hat, und sie hatte keinen, schulmedizinisch gesagt. Gut, vielleicht verstand er unter einem Herzfehler etwas anderes.

 

Bevor der erste Mensch in das Weltall geschickt worden ist, haben die Russen einen Hund namens Laika auf den Mond geschickt. Der ist dann wieder auf die Erde gekommen und kurz nachdem sie gelandet sind, ist dieser Hund gestorben. Ich war zu diese Zeit wieder einmal im Kloster zu Besuch. Pater Thomas sagte, er habe den Hund ausgependelt. Und ich sagte zu ihm: «Sie kennen ja diesen Hund gar nicht, der ist weit weg. Wie wollen sie das machen, wo ist der Bezug vom Hund zu ihrem Pendel?» Er sagte, der Hund habe einen Herzfehler gehabt, also einen Klappenfehler. Ich habe das genau mit ihm diskutiert. Kurz darauf ist in der Zeitung gestanden, dass dieser Hund an einer Herzschwäche gestorben ist. Pater Thomas sagte es sein eine Herzmuskelentzündung, was also nicht das gleiche ist, medizinisch gesehen.

 

Seine gängigen Diagnosen waren Gallengries, Nierengriess, Tuberkulose im Rücken, hin und wieder auch Hirntumor. Und so hatte er ein paar Diagnosen, die ich immer wieder von den Leuten hörte.

 

Pater Thomas sagte nicht, er lehne die Schulmedizin ab, in keiner Art und Weise. Er sagte zum Beispiel: «Jetzt müssen sie mit ihrem Nierengriess zum Doktor.», wenn es nicht gegangen ist mit Kabisblättern auflegen. Mein Problem war dann, dass ich die Patienten mit der Diagnose von Pater Thomas hatte, die schulmedizinisch nicht stimmte und ich sollte sie dann behandeln. Darum stritten wir uns ab und zu über dieses Thema oder diskutierten.

 

Als ich einen Besuch im Kloster machte und Pater Thomas meine Tochter auspendeln wollte, sagte ich zu ihm er solle das lassen, er habe meine Tochter ja noch nie gesehen. Er sagte, dass spiele keine Rolle. Ich sagte zu ihm, er habe nichts von meiner Tochter, weder ein Kleidungsstück noch Urin noch sonst etwas und so wolle er pendeln, das sei ja völlig daneben. So sind wir einander begegnet.

 

Mit den Jahren haben wir fast ein freundschaftliches Verhältnis bekommen. Ich mochte ihn sehr gut und wir vertrugen uns gut. Ich sah, dass Pater Thomas eben Pater Thomas ist, und er liess mich «kutschieren». Also jeder liess dem anderen seinen Bereich und wir machten einander keine Vorschriften. Ich schimpfte immer dann, wenn er so extreme Diagnosen stellte.

 

Ich kann mich noch erinnern, da kamen immer Patres von Disentis hier in die Ferien. Einmal war der Abt von Disentis da und Pater Ansgar, ein Mathematiker, der später glaube ich auch Abt wurde. Dieser Pater und ich vertraten die naturwissenschaftliche Seite und Pater Thomas war auf seiner Seite. Manchmal ergab es sich das 4-5 Patres bei uns zum Nachtessen waren. Dann gab es manchmal auch Streit zwischen mir und Pater Ansgar auf der einen Seite und Pater Thomas auf der anderen Seite. Das erste Mal realisierte ich, dass Pater Thomas von einem felsenfesten Glauben überzeugt und das er selber als Christ tiefgläubig ist und das er auf der anderen Seite an seine Pendelmedizin unumstösslich glaubt. Und von dem Moment weg, als ich das gemerkt habe, sind wir gut miteinander ausgekommen. Er hat mich auch nie beim Behandeln der Klosterfrauen zurückgebunden oder Grenzen gesetzt oder so. Das hat funktioniert.

 

Es gibt ein paar lustige Geschichten, wo es nochmal um die Gläubigkeit von Pater Thomas geht.

 

Wo es um das Frauenstimmrecht ging, ist auch Pater Thomas zur Abstimmung gegangen, hat den Zettel gehoben und bevor er ihn in die Urne fallen gelassen hat sagte er: «Nur die allergrössten Kälber wählen ihre Metzger selber.»

 

Einmal war er in einer fremden Stadt in Deutschland. Da fragte Pater Thomas einen Passanten auf dem Trottoir nach einem Parkplatz. Dieser sagte zu ihm, er käme wohl aus der Schweiz. Ja, er sei gleich an der Grenze zu Italien, sagte Pater Thomas. Darauf fragte in Karl Grond ob denn dieser Mann die Schweiz kenne. Da sagte Pater Thomas, ja er kenne nur etwas in der Schweiz, den Pater Thomas aus Müstair.

 

Es kamen ja Carweise Menschen nach Müstair und ich hatte gar nie den Eindruck, dass er das kommerziell machte, dass stand für ihn gar nicht zur Diskussion. Er hatte die innere Berufung, den Auftrag zu heilen. Alles andere war Wurst.

 

Auch wie er selbst mit seinen Krankheiten umgegangen ist habe ich gesehen. Da hat er auch zuerst probiert mit seinen Methoden und er war dann mit der Zeit auch durchaus bereit schulmedizinische Behandlungen zuzulassen. Also er wehrte sich nicht dagegen.

 

Ich selbst habe ihn auch behandelt in der Zeit als er hier im Münstertal war.

 

In der Zeit als wir ab und zu Streit hatten, hatten wir eine Art uns zu versöhnen und das war die Diskussion über die Vierwaldstättersee-Schiffe. Er war ein Fan dieser Schiffe. Immer wenn ich im Gebiet des Vierwaldstättersees war, sendete ich ihm eine Karte mit einem Schiff, oder der Stadt Luzern drauf. Über dieses Thema konnten wir bestens diskutieren. Er ist ja in Luzern aufgewachsen und hat Bäcker gelernt. Er hat auch immer von seiner Bäckerlehre erzählt.

 

Ich habe Vorbehalte, die aus der Klausur ihm gegenüber angebracht worden sind. Er war sicher ein Anachronist. Ich habe ihn so erlebt. Ich hatte das Gefühl, er komme aus einer anderen Zeit. Ich sagte ja schon, dass er tiefgläubig war, ich würde sogar sagen, dass er besessen war. Es war eine Besessenheit, die ihn getrieben hat und die auch sein Charisma ausmachte. Wenn jemand so restlos überzeugt ist von sich von seiner Aufgabe, dann wirkt er und ich denke, dass dies das Geheimnis ist von seiner Wirkung. Und er brachte dies auch zum Ausdruck. Er sagte beispielsweise in einer Diskussion mit mir und den Patres, nachdem wir Argumente gebracht hatten: «Es ist so und ich kann nicht anders.» Das war seine Haltung und Überzeugung.

 

Er hatte manchmal auch etwas durchaus Schalkhaftes. Er hatte etwas Lustiges an sich.

 

Er hat mir zum Beispiel die Wichtigkeit von Naturbeobachtungen beigebracht. Davon verstand er einiges. Einmal beobachteten wir während einer Diskussion eine Spinne. Da sagte er: «Wenn die Spinne heruntergeht, dann wird das Wetter schlecht, wenn sie nach oben geht, dann wird das Wetter gut.» Diese Dinge haben mir Eindruck gemacht, deshalb weiss ich sie heute noch.

 

Ich und ich weiss, dass auch andere Leute so denken, sind der Meinung, dass das Kloster Disentis nicht unglücklich war, wenn sie die unbequemen Patres als Spiritual nach Müstair abschieben konnten. Das gilt für Pater Thomas, Pater Benedikt und Pater Columban.

 

Pater Thomas war ausserordentlich wirksam auf dem Gebiet der psychosomatischen Erkrankungen. Und zwar weil er so eine Sicherheit ausstrahlen konnte.

 

Ich mag mich an keinen Fall erinnern, bei dem wir die gleiche Diagnose stellten. Also gut vielleicht Gallengriess, es gibt natürlich schon Menschen die dann Gallensteine haben. Wenn man Gallengriess bei 50 Leuten diagnostiziert, dann hat sicher der eine oder andere Gallensteine.

 

Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich die Patienten mit Tuberkulose in der Wirbelsäule (nach Pater Thomas) nicht verifizieren konnte.

 

Pater Thomas hat mich nie ausgependelt. Meiner Frau hat er einmal den Öltest erklärt. Meine Frau kam in Kontakt mit ihm, weil eines unserer Kinder zu Schwester Paula in den Flötenunterricht ist. Da mussten sie jeweils an der Pforte läuten und oben war ja gleich das Zimmer des Spirituals. Wenn er jeweils rauskam und da oben stand, das war eine interessante Erscheinung. Er fragte einem immer aus, ausser mich, da fragte er nie. Also wenn dann meine Frau kam, fragte er: «Wie geht es, geht es gut?» Daraus entstand dann oft ein Gespräch und so empfahl er meiner Frau den Öltest. Nächstes Mal als sie wieder mit der Tochter zum Flötenunterricht kam fragte er ob sie den Öltest denn nun gemacht habe. Meine Frau hatte den Öltest natürlich nicht gemacht. Er konnte einem dann auch den Eindruck vermitteln, dass man schon ziemlich daneben lag.

 

Der Besuch im Kloster hat sich häufig so abgespielt, dass man hereingekommen ist und unten geläutet hat. Ich kam immer zu Unzeiten, also nicht zu Besuchszeiten. Pater Thomas empfing mich oben an der Treppe. Dann hat er mich in sein Zimmer hineingelassen, dann haben wir 5 Minuten geplaudert, ausser er war gerade unter Zeitdruck. Mein Zeitdruck interessierte ihn nicht. Dann hat er mich zur Klausurtüre gebracht. Die Priorin oder die für Kranke zuständige Schwester erwartete mich und nahm mich in Empfang und begleitete mich zu den Patienten. Am Schluss redete ich dann meistens noch 5-10 Minuten im Priorat mit der Priorin.

 

Heute würde ich Pater Thomas wahrscheinlich anders begegnen. Aber wie gesagt, wir haben uns gefunden und wir haben nachher auch noch korrespondiert. Er schrieb mir am Anfang auch von Disentis, wie es ihm ging.

 

Das man seine Tätigkeit hier im Tal zu unterbinden versucht hat ist vom Kantonalen Sanitätsdepartement ausgegangen. Im Kanton Graubünden sind Heiler erlaubt, aber sie müssen eine Prüfung machen, sie müssen so gewisse Sachen wissen. Einer der bei dieser Prüfung dabei war hat mir erzählt, was Pater Thomas alles nicht gewusst habe. Ich fand es sinnlos die Arbeit von Pater Thomas zu unterbinden, obwohl es Phasen gab, in denen ich dachte, das sei ein «cheiba Scharlatan».

 

Ich denke, dass die Leute heute nicht gesünder sind als vor 100 Jahren. Trotz dem enormen Fortschritt der Schulmedizin. Schulmedizin versagt in sehr vielen Belangen oder besser gesagt, sie kann nicht helfen. Es liegt daran, dass die Menschen Krankheiten haben, bei denen man sagen kann, dass es an der Zeit liegt. Es ist sehr schwierig heute Mensch zu sein in unserer Gesellschaft. Für diese Situation ist die Schulmedizin zunehmend ungeeignet und sind zunehmend alternative Methoden geeignet, die den Menschen von einer ganz anderen Seite angehen. Und das konnte Pater Thomas. Er hat gewirkt weil durch ihn durch eine felsenfeste Überzeugung spürbar war. «Ich kann nicht anders», sagte er. Er war besessen von seinem Auftrag und das wirkt. Es gab natürlich viele Leute, die wiederkamen, es gab aber auch viele die kein zweites Mal kamen. Das statistisch zu fassen ist ausserordentlich schwierig und es ist auch gar nicht nötig. Es ist ja gut, wenn es solche Situationen gibt wo jemand Hilfe findet für immer oder für eine gewisse Zeit.

 

Einmal ist ein Kind im Tirol ertrunken. In einem Bach. Da pendelte Pater Thomas den Ort und fand ihn aber nicht. Das Feeling für Wasseradern, das hatte er sicher. Man sagt ja, dass das gewisse Menschen haben und gewisse nicht. Das Gespür mit der Wünschelrute zu arbeiten, das hatte er ganz sicher.

 

Wenn jemand in der Sprechstunde sagte er oder sie könne nicht schlafen, sagte ich den Leuten sie sollen einen Kupferring unters Bett legen, weil Pater Thomas dies empfohlen hatte. Die Leute wussten dann meistens, was ich meine und auf was ich anspielte.

 

Ich war hier in diesem Tal der einzige Arzt während 16 Jahren. Der nächste war in Zernez. Ich hatte die Haltung, dass ich hier hinten für die Bevölkerung die Schulmedizin vertreten muss. Es war nicht an mir noch andere Methoden zu vertreten, ich hatte genug zu tun mit dem Problem Schulmedizin. Schon das ist ein sehr weites Feld. Darum kann ich über Alternativmedizin nicht sehr viel mehr sagen als irgendein anderer Laie auf dem Gebiet. Ich muss einfach sagen, dass ich es nicht verstehe.

 

Ich habe den Eindruck, dass es typisch ist für unsere Zeit, dass man probiert, zum Beispiel Akupunktur oder chinesische Medizin bei uns einzuführen. Man will also das, was die Menschen in China machen herausnehmen und als wirksames Prinzip bei uns anwenden. Und da mache ich ein Fragezeichen. Ich weiss nicht ob chinesische Medizin in Europa wirkt beim Europäer, wo nicht die ganze chinesische Kultur dahintersteht, seine ganze Lebenshaltung. Im Grunde genommen ist es ein naturwissenschaftliches Denken. Wenn ich nach China gehe, bekomme ich diese Nadel, die diese und jene Wirkung hat und jetzt mache ich das in Europa auch. Nur ist das ein Übertragen von einer Ursache-Wirkung Überlegung auf europäische Verhältnisse und ob das geht, ist fraglich. Sonst habe ich mich bei all diesen Dingen rausgehalten.

 

Pater Thomas war sicher eine eindrückliche Persönlichkeit und ich möchte seine Bekanntschaft nicht missen, obwohl wir nicht immer gut miteinander ausgekommen sind und obwohl er seine problematischen Seiten hatte.

 

Als er wusste, dass er von Müstair weg musste, hat er gespürt, dass er schon so krank war, dass er froh war, dass er seine Aufgabe abgeben konnte. Es war ihm auch klar, dass wenn er hiergeblieben wäre und ein anderer gekommen wäre und seine Arbeit gemacht hätte, das nicht funktioniert hätte. Er war hier schon Regent. Pater Thomas kannte man hier im Tal. Auch die protestantischen Menschen im Tal gingen zu Pater Thomas zum Pendeln. Da spielte die Konfession gar keine Rolle mehr.